Warum eigentlich das ganze Basteln?
Training, Training, Training.
Die Feinmotorik trainieren – das ist der Grund, der für alle am offensichtlichsten ist. Auch technische Geräte wollen später mit Fingerspitzengefühl behandelt werden, und Menschen ohnehin. Diese Handfertigkeit muss erlernt und geübt werden, nicht nur für zukünftige Pianist*innen und Chirurg*innen, sondern auch für die ganzen Handwerker*innen, die bekanntlich allerorten fehlen. Deshalb schneiden, kleben, zeichnen, pinseln wir mit den Kids.
Ich starte übrigens immer gerne mit etwas Handgymnastik (frei improvisiert, weil ich habe keine Ahnung davon) – die Fingerchen spreizen, krümmen, strecken, mit den Händen wedeln, dehnen, klatschen. Ich denke alles hilft.
„Das machen die doch in der Schule!“
Nein, liebe Eltern, so einfach könnt Ihr euch da nicht rausreden. Lehrerinnen und Lehrer sind nicht für alles zuständig. Für Lesen, Schreiben, Rechnen, für Schuhe zubinden, den Ranzen in Ordnung halten, für gesunde Ernährung, Bewegung und auch noch für gutes Benehmen? Ihr müsst die Coaches Eurer Kinder sein und sie bei ihrem Weg unterstützen. Also mal eine Runde basteln statt Play-Station spielen.
Basteln macht schlau
Häh – wie soll Bildchen malen denn schlau machen?
Bildchen ausmalen sicher nicht. Das schult zwar die Wahrnehmung, fördert die Konzentrationsfähigkeit und das saubere Arbeiten, was ja auch alles gut und wichtig ist. Und es beglückt die Eltern, weil die kleine Lieselotte „ja so toll malen“ kann. Dass die kleine Lieselotte nur eine Vorlage brav ausmalt oder abmalt, wird gar nicht gesehen. Sieht ja alles sooo schön ordentlich aus. Mit Denken hat das wenig zu tun.
Denken heißt ja, ich bekomme eine Aufgabe und weiß noch nicht ganz genau, wie ich zu einem Ergebnis komme. Ich muss es irgendwie selbst herausfinden. Mit meinem kleinen Menschenhirn. Ich muss vielleicht ein paar Versuche machen, die schiefgehen und die ganz bestimmt nicht so schön aussehen wie bei Klein-Lieselotte, und dann habe ich (meistens) einen Weg gefunden. Deshalb versuche ich, meine Kunstaufgaben so zu gestalten, dass einerseits ein klarer Rahmen gegeben ist, aber innerhalb dieses Rahmens selbst ausprobiert werden kann. Diese Freiheit zu einer eigenen Gestaltung ist die Freiheit zu „Fehlern“, oder besser gesagt zu Lernmöglichkeiten. Wenn man die falsche Seite mit Kleber bestreicht, ist das zwar ärgerlich – aber kann man eben daraus etwas lernen.
Ich bin nicht prinzipiell gegen jede Schablone und jedes Arbeitsblatt – aber es sollte immer eine Kombination geben mit Aufgabenstellungen, in denen die Kinder eigene Lösungen für auftretende Probleme finden müssen. Nur so können sie erfahren, dass sie selbst etwas bewirken können und müssen. Denken eben.
Wer bastelt, lernt besser
Was meine ich damit? Wenn man kleine Bastelaufgaben mit den anstehenden Lerninhalten verknüpft, können die Kinder diese noch einmal anders betrachten und verstehen. So kann man einen neuen Buchstaben eben nicht nur schreiben, sondern auch aus Papierschnipseln selbständig zusammenkleben oder zu einem verrückten Fantasietier verwandeln. Basteln ermöglicht andere Zugänge. Wenn dazu noch starke Emotionen kommen, wie die Freude über etwas Selbstgemachtes oder überwundene Schwierigkeiten, bleiben die Inhalte stärker haften. Gefühle sind auch bei Lernvorgängen wichtig.
Basteln als Grundlage für sinnvolle Arbeitsstrukturen
Mit Bastelaufgaben kann man wunderbar Arbeitsabfolgen und Prozesse einüben. Das schult den Sinn für die Einrichtung eines Arbeitsplatzes und das Verständnis für Arbeitszusammenhänge. Auch wenn es am Anfang nur um so banale Tätigkeiten wie „erst kleben und dann den Kleber wieder schließen“ geht. Das Ziel (und die Hoffnung …) ist, dass die Arbeitsstruktur irgendwann selbständig ausgeführt werden kann. Das Material aus der Bastelkiste fördert dabei den bewussten Umgang mit Material, das Erkennen, dass man auch aus Resten kreativ etwas herstellen kann. Nachhaltigkeit ganz praktisch umgesetzt.
Aber später arbeiten doch eh‘ alle am Computer!
Ja, das stimmt sicher für viele. Und ich bin sehr dafür, dass das Arbeiten mit digitalen Medien so früh wie möglich erlernt wird. Auch bereits in der Grundschule. Ich ärgere mich darüber, dass hier immer noch so wenig in puncto sinnvoller und praktikabler Umsetzung geschieht. Irgendwelche Geräte kaufen ist jedenfalls nicht die Lösung. Als Künstlerin war ich – Überraschung! – ein Computer-Fan der ersten Stunde und wurde von meinen Kolleg*innen damals kritisiert und belächelt, weil das ja alles „unkünstlerisch“ sei. Aber ich habe nie das analoge Arbeiten aufgegeben und finde gerade die Verbindung beider Welten wichtig. Ich meine: je mehr ich weiß, lerne und kenne, desto bessere Entscheidungen kann ich im Leben treffen.
Warum wollen wir das den Kindern vorenthalten?
Übrigens brauchen wir genau dort – in der Software-Entwicklung und Anwendung – Menschen, die eigenständig denken können …
Basteln für die Zukunft
Der Mensch ist immer in irgendeiner Umgebung, die er bewältigen muss (ob in der Savanne oder der Großstadt). Wir müssen Größenverhältnisse schätzen lernen und räumliche Bezüge entwickeln. Wir müssen Probleme bewältigen, „Aufgeben ist keine Option“ lernen und mit anderen Menschen auskommen. Kein Kind wird alles am Ende von Klasse Vier perfekt beherrschen, aber hier legen wir die „Keime“ für die Zukunft. Und in welchen Berufen man alles basteln können muss, erzähle ich ein anderes Mal.
Jetzt erst mal ran an die eigene Bastelkiste!
Tipps und Links:
- Wer tiefer einsteigen will, kann sich mal mit „Learning through the Arts“ beschäftigen, z. B. >> auf dieser Website (deutsch) oder >> auf dieser Website (englisch).